Interview

Forscherin: Bremen muss seine Kolonialgeschichte besser aufarbeiten

Eine Gedenkstunde erinnerte an den Völkermord im heutigen Namibia. Doch Bremen tut sich mit der Aufarbeitung immer noch schwer, findet eine Wissenschaftlerin.

In der Nähe des Bremer Hauptbahnhofs und der Bremer Bürgerweide steht ein zehn Meter hoher Backstein-Elefant.
Der "Elefant", wie das Antikolonialdenkmal genannt wird, war einst ein Mahnmal für die in den Kolonien gefallenen Soldaten. Heute erinnert er an die Opfer des Kolonialismus. Bild: Imago | Eckhard Stengel

Mit einer Gedenkveranstaltung haben mehr als 200 Menschen in Bremen der Opfer des Völkermordes in Namibia während der deutschen Kolonialzeit gedacht. Im Nelson-Mandela-Park trafen sich am Vormittag Vertreter der Bremer Politik, der Wissenschaft sowie Aktivisten, um der ermordeten Angehörigen der Herero und Nama zu gedenken. Auch Herero-Aktivist Israel Kaunatijke hielt einen Vortrag. Er forderte am Mahnmal des Völkermordes im Nelson-Mandela-Park eine offizielle Entschuldigung Deutschlands.

Die Bundesregierung müsse endlich den Völkermord anerkennen und Reparationen zahlen. Bis heute litten die Menschen in Namibia unter den Folgen der Kolonialherrschaft. Noch immer seien 60 Prozent des Landes in den Händen der Nachfahren weißer Siedler.

Doch wie sieht es mit der Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit Bremens aus? Die Hansestadt spielte bei der Kolonialisierung von Deutsch-Südwestafrika eine zentrale Rolle, sagt die Kulturwissenschaftlerin Cordula Weißköppel. Bei der Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit gebe es allerdings noch Luft nach oben.

Frau Weißköppel, Sie fordern eine umfassendere Aufarbeitung der Rolle Bremens in der Kolonialgeschichte. Was genau meinen Sie damit?

Ich meine die Aufarbeitung darüber, wie Bremen in die koloniale Ära Deutschlands langfristig involviert war. Mit den Handelsnetzwerken, die bereits vor der kolonialen Ära auch durch Bremer Kaufleute etabliert wurden, hat sich Bremen in der Welt einen Namen gemacht. Damit wurden dann zur Wende zum 20. Jahrhundert die nationalen Ökonomien bereichert und abgesichert. Und natürlich spielt der Handel auch heute noch eine große Rolle. Man sollte den Kolonialismus nicht als isolierte Episode betrachten, sondern auch die Verflechtungen mit der deutschen Geschichte in der Weimarer Republik und dann in der Nazi-Zeit sichtbar machen. Doch die Untersuchung dieser Verflechtungen wurde bislang oft durch die Aufarbeitung des Nazi-Regimes überlagert. Heute wissen wir aber, dass die Denkweise, die den Kolonialismus untermauerte, den Weg für nationalsozialistische Ideologien bahnte.

Das dürfte aber nicht nur Bremen betreffen. Wieso spielt die Hansestadt trotzdem eine zentrale Rolle?

Bremen war als Hafen- und Handelsstadt ein zentraler wirtschaftlicher Akteur. Die Namen von Kaufleuten wie Adolf Lüderitz oder Heinrich Vogelsang, die die Kolonisierung Südwestafrikas zunächst informell betrieben haben, dürften den meisten bekannt sein. Weniger explizit sind die Strukturen, die den Kolonialismus ermöglichten. Erfolgreiche Reeder wie der Bremer Lloyd, die die Schiffsverbindung nach West- und Südafrika ausgebaut und technologisch dominiert haben, schufen die infrastrukturellen Grundlagen für die systematische Unterwerfung der lokalen Bevölkerungen. Ohne die überseeischen Schiffslinien hätten die militärischen Operationen im damaligen Deutsch-Südwestafrika nicht realisiert werden können. Und umgekehrt wurden durch diese marine Infrastruktur auch unzählige kulturelle Objekte nach Europa verschifft, so dass die heutigen Museen über diese ethnografischen Sammlungen verfügen.

Welche Spuren findet man heute noch in Bremen?

An sehr vielen Stellen gibt es noch Spuren. Viele sind gut bekannt wie die Geschichte um den Bremer Baumwollhandel oder das lukrative Geschäft mit dem Kaffee. Hier geht es nicht nur um die Häfen und die Reedereien, sondern auch um die industrielle Produktion und wie sie nach dem Kolonialismus bis heute weiter entwickelt wurde. Manche Spuren sind jedoch weniger bekannt: In Walle gab es beispielsweise eine Jutefabrik, die das Arbeiter-Leben im Viertel damals stark geprägt hat. Darüber erfährt man erst etwas, wenn man ins Kulturhaus Brodelpott geht. Oder der Tabakhandel: Damit sind Bremer Kaufleute wie Melchers in die Kolonialökonomie eingestiegen und haben erste Reichtümer aufgebaut. Aber welche Personen und Firmen waren weiterhin darin involviert? Wir benötigen daher heute noch eine unabhängige Aufarbeitung von lokalen und internationalen Firmengeschichten.

Was schlagen Sie konkret vor?

Wenn man zum Beispiel ins Hafenmuseum am Speicher XI geht, merkt man, dass die Darstellungen sich primär auf die nachkoloniale Ära beziehen. Die Verstrickung der Hafenentwicklung mit dem Kolonialismus wird kaum behandelt. Die Aufarbeitung sollte jedoch nicht nur Aufgabe der einzelnen Häuser sein. Die Bremer Museen sollten dabei stärker vernetzt arbeiten, zum Beispiel mit einem übergreifenden Ausstellungskonzept. Und wir brauchen in Bremen einen professionellen "Think Tank" in der senatorischen Behörde, der ein Konzept für die Aufarbeitung der Kolonialzeit erstellt. Es kann nicht sein, dass diese Aufgabe einzelnen Nichtregierungsorganisationen oder Gesprächsrunden überlassen bleibt. Darüber hinaus sollte man die verschiedenen Schauplätze des Kolonialismus in Bremen stärker verbinden.

Tut sich Bremen also schwer mit der Aufarbeitung?

Ja, man muss leider seit Jahrzehnten beobachten, dass eine postkoloniale Perspektive für die allgemeine Bildungslandschaft Bremens nicht die höchste Priorität hat. Kolonialgeschichte wird bislang nur marginal oder punktuell behandelt. Man braucht nur auf die schulischen Curricula zu schauen: Dort ist seit Jahrzehnten ganz wenig passiert. Optimistischer können wir sein, was die Lage der Aufarbeitung des Kolonialismus in Deutschland insgesamt betrifft. Die historische und kulturwissenschaftliche Forschung ist endlich eine politische Debatte geworden. Sie ist nicht mehr auf Akademikerkreise beschränkt. Deshalb ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt für eine breit angelegte Bildungsoffensive zum Kolonialismus, sodass jedes beschulte Kind in Bremen angemessenes Wissen zu dieser Epoche erhält.

Autorin

  • Serena Bilanceri
    Serena Bilanceri Autorin

Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Nachrichten, 11. August 2019, 16 Uhr

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