Fragen & Antworten

Atomkraftwerke am Netz lassen? Das sagen Forscher und Bremer Politiker

Kernkraftwerk Neckarwestheim (Archivbild)
Das Atomkraftwerk Neckarwestheim 2 dürfte nach dem Willen einiger Politiker auch nach dem Dezember dieses Jahres noch laufen. Bild: dpa | Bernd Weißbrod

Sollten die letzten deutschen Kernkraftwerke auch kommendes Jahr noch laufen? Nein, sagt die Delmenhorster Forscherin Claudia Kemfert. Doch Bremens Politik ist uneins.

Zwar hatte der Bund bereits beschlossen, die drei letzten deutschen Atomkraftwerke im Dezember abzuschalten. Ob es aber wirklich so kommt, erscheint inzwischen fraglich. Denn nach der Bundes-CDU und der Bundes-FDP haben mit Blick auf die Energiekrise inzwischen auch SPD-Chefin Saskia Esken und Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) gesagt, dass sie zumindest einen sogenannten "Streckbetrieb" der Atomkraftwerke mit den alten Brennelementen über den Dezember hinaus nicht kategorisch ausschließen.

Was aber sagt Bremens Politik zu der Atomenergie-Debatte? Und: Unter welchen Voraussetzungen könnte man die Kernkraftwerke überhaupt weiter laufen lassen? Darüber haben wir mit Bremer Spitzenpolitikern, mit Kraftwerkbetreibern, mit der Energieökonomin Claudia Kemfert sowie mit dem Energie- und Klimaforscher Manfred Fischedick gesprochen.

Gestapelte Atommüllfässer (Symbolbild)
Dass sich Atommüll nicht richtig entsorgen, sondern nur lagern lässt, ist einer der Hauptgründe dafür, dass die Kernkraftwerke abgeschaltet werden sollen. Bild: Imago | agefotostock/Fotosearch

Wie steht Bremens rot-grün-rote Landesregierung zu der Idee, Deutschlands Atomkraftwerke über den Dezember hinaus laufen zu lassen?

Bremens Senatspräsident Andreas Bovenschulte (SPD) spricht von einer "Scheindebatte". "Denn die verbliebenen drei AKW tragen zur bundesdeutschen Stromproduktion nur noch sehr wenig bei", so Bovenschulte. Er fügt hinzu: "Ich wäre denen, die besonders laut nach dem Weiterbetrieb rufen, dankbar, wenn sie sich endlich in die nach wie vor ungelösten Fragen, auch nach Endlagerung, einbringen würden."

Bremens Umweltsenatorin Maike Schaefer (Grüne) sagt zur Debatte um die Atomkraftwerke: "Die AKW-Laufzeiten zu verlängern, würde in der aktuellen Gaskrise kaum dazu beitragen, dass wir unabhängiger von russischen Gasimporten werden. Das schafft nur eine schnelle Energiewende."

Auch Christoph Speer, Landessprecher der Bremer Linken, hält nichts davon, die Atomkraftwerke länger als derzeit geplant am Netz zu lassen. Denn das wäre teuer und aufwendig, glaubt Speer. "Stattdessen sollte geprüft werden, ob Strom aus dem Ausland eingekauft oder weniger aus Deutschland beispielsweise nach Frankreich exportiert werden kann", schlägt der Politiker vor.

Der frisch gebackene Spitzenkandidat der FDP: Thore Schäck.
Würde Kernkraftwerke übergangsweise weiter laufen lassen: FDP-Politiker Thore Schäck. Bild: Radio Bremen

Und wie stehen Vertreter der Bremer Oppositions-Parteien zu einer möglichen Laufzeit-Verlängerung von Kernkraftwerken in Deutschland?

Anders als Teile der Bundes-CDU sowie als Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagt Martin Michalik, Sprecher für Klimaschutz, Umwelt und Energie der CDU Bremen: "Wir halten am Ausstieg aus der Atomenergie und der Kohleverstromung fest."

Bremens FDP-Chef Thore Schäck vertritt dagegen eine etwas andere Position zur Laufzeit der verbliebenen deutschen Atomkraftwerke. Zwar halte er die Atomenergie keinesfalls für eine Zukunftsenergie für die nächsten Jahrzehnte. Auch sei es wichtig, den Ausbau der Erneuerbaren Energien erheblich voran zu treiben. "Aber um vorübergehend der schwierigen Lage entgegen zu treten, ist eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten mit Sicherheit sinnvoll", so Schäck. Er spricht von einer "Übergangszeit von maximal zwei oder drei Jahren".

Was sagen die Betreiber? Ließen sich die drei Atomkraftwerke überhaupt über den Dezember 2022 hinaus betreiben?

In diesem Punkt halten sich die Betreiber bedeckt, lassen lediglich durchblicken, dass für den weiteren Betrieb neue Voraussetzungen geschaffen werden müssten.

So schreibt die EnBW Energie Baden-Württemberg AG als Betreiberin des Kraftwerks Neckarwestheim 2 auf Anfrage von buten un binnen, dass sie seit dem Ausstiegsbeschluss aus dem Jahr 2011 konsequent eine langfristige Strategie für den Rückbau ihrer Kernkraftwerke umsetze. "Der gesetzliche Rahmen schließt eine Stromproduktion in den derzeit noch in Betrieb befindlichen deutschen Kernkraftwerken – also auch im Block II des Kernkraftwerks Neckarwestheim (GKN II) – über den 31. Dezember 2022 hinaus eindeutig aus", heißt es weiter in der Stellungnahme des Unternehmens. Dort steht allerdings auch: "Wenn von der Bundesregierung gewünscht, steht die EnBW selbstverständlich weiterhin für Gespräche zur Verfügung." Im Übrigen wolle man sich nicht zu hypothetischen Fragen äußern.

Ganz ähnlich formuliert es Bernd Gulich, Sprecher der Preussen Elektra GmbH, die das Kernkraftwerk Isar betreibt. Zwar wolle er die Debatte um einen möglichen Weiterbetrieb von Isar 2 nicht kommentieren. Allerdings habe sein Unternehmen bereits im März klar gemacht, dass es unter bestimmten Voraussetzungen möglich sei, Isar 2 weiter zu betreiben. Dann habe sich die Bundesregierung jedoch dagegen entschieden. "Diese Entscheidung respektieren wir", so Gulich: "Wir bereiten uns seit Jahren sowohl technisch als auch organisatorisch auf die Stilllegung und den Rückbau unserer Kernkraftwerke vor."

Die RWE als Betreiberin des Atomkraftwerks Emsland hat am Montag kurzfristig keine Stellungnahme zu einem möglichen Weiterbetrieb des Kernkraftwerks abgegeben.

Wie äußern sich Fachleute zu einer möglichen längeren Laufzeit der deutschen Atomkraftwerke?

Sollte der Bund die Atomkraftwerke über den Dezember hinaus betreiben, so würde Deutschland auf diese Weise nicht nur noch mehr Atommüll produzieren, sondern auch hohe Kosten verursachen, sagt die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. "Man müsste das Atomgesetz ändern, damit die Betriebsgenehmigungen weiter laufen", erklärt sie. Die sicherheitstechnischen Überprüfungen der Atomkraftwerke seien 2019 nur deswegen ausgesetzt worden, weil man damals davon ausgegangen war, dass die Kraftwerke 2022 vom Netz gehen würden. "Wenn man das ändern wollte, müsste man wieder neu prüfen", so Kemfert.

Das aber ergäbe keinen Sinn: "Atomkraftwerke stellen sechs Prozent des Stroms her. Sie helfen aber nicht bei der Wärmeerzeugung. Den Strom, den Atomkraftwerke erzeugen, könnten viel effizienter und preiswerter Erneuerbare Energien erzeugen", begründet Kemfert.

Ähnlich äußert sich Manfred Fischedick, Präsident und Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Er sieht in einem lägerfristigen Weiterbetrieb von Atomkraftwerken keine "adäquate Antwort" auf die aktuelle Situation. Zielführender fände er den schnellen Ausbau Erneuerbarer Energien sowie eine "substantielle Energieeffizienzoffensive".

Älterer Herr in Jacket strahlt für Foto in Kamera
Kritisiert, dass Atomkraftwerke kaum etwas zur Wärmegewinnung beitrügen: Manfred Fischedick. Bild: JRF e.V.

Und was halten Fischedick und Kemfert von der Idee des "Streckbetriebs", also einer kurzzeitigen Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke mit den alten Brennelementen?

Ebenfalls wenig. So sagt Fischedick: "Der über einen Streckbetrieb zu generierende Beitrag zur Einsparung von Erdgas im Strombereich ist begrenzt, wenn auch sicher nicht Null." Schätzungen zufolge liege das maximale Einsparpotenzial für Erdgas bei rund einem Prozent des deutschen Erdgasbedarfs, sei also sehr klein.

Noch deutlicher als Fischedick wird Kemfert: "Ein Streckbetrieb bedeutet, dass man die Strommenge erst drosseln muss, um sie dann zu verlängern. Wir würden in der Menge also gar nicht mehr Strom produzieren, könnte keine Gaskraftwerke ersetzen. Deswegen nützt uns der Streckbetrieb nichts."

Wenn ein Streckbetrieb der Atomkraftwerke gar nichts brächte – warum wird dann so viel in der Politik darüber diskutiert? Und: Was wäre die beste Lösung?

Kemfert spricht im Zusammenhang mit der Diskussion um einen Streckbetrieb der Atomkraftwerke von einer "politischen Gespensterdebatte aus der Opposition" heraus. Markus Söder habe aus Bayern viel Druck aufgebaut. Aus fachlicher Sicht aber ergebe der Streckbetrieb der Atomkraftwerke wenig Sinn. Frankreichs Atomkraftwerke, die zur Hälfte wegen Technikproblem und Klimawandel nicht am Netz seien, verschärften das Stromproblem in ganz Europa.

Atomkraft ist das Problem, nicht die Lösung.

Claudia Kemfert, Energieökonomin

Sinnvoll dagegen wäre aus Kemferts Sicht dreierlei: "Erstens Energie sparen und zweitens ein Booster-Programm zum schnelleren Ausbau Erneuerbarer Energien. Wir können in diesem Land in vier Monaten Flüssiggas-Terminals genehmigen. Das könnten wir auch mit Windenergie-Anlagen machen, die bereits im Genehmigungsverfahren sind", erklärt die Wissenschaftlerin. Drittens müsse man temporär Kohlekraftwerke zum Betrieb von Kraftwärmeanlagen einsetzen. Denn dafür würden zur Zeit Gaskraftwerke benötigt.

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Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Nachrichten, 25. Juli 2022, 17 Uhr