Ausgebeutete Arbeiter: Illegal im Land, 77 Euro Wochenlohn
Bei einer Razzia flog im April ein Unternehmer aus dem Raum Bremerhaven auf, der illegal eingereiste Osteuropäer ausgebeutet haben soll. Nun haben Betroffene erzählt, wie die Masche lief.

Urkundenfälschung, Steuerhinterziehung, Veruntreuung von Sozialabgaben: Das sind die Vorwürfe, die einem 36 Jahre alten Unternehmer nach der Razzia gemacht werden. Er sitzt mittlerweile in Untersuchungshaft. Die, die für ihn arbeiteten, haben Deutschland größtenteils wohl wieder verlassen – und sind um eine Illusion ärmer.
Im aktuellen Fall waren Arbeiter aus der Republik Moldau und der Ukraine gekommen. Eigentlich ist der EU-Arbeitsmarkt für diese Länder noch nicht offen. Ognyana Ivanowa von der Beratungsstelle für mobile Beschäftigte und Opfer von Arbeitsausbeutung (Moba) erzählt, dass die Arbeiter mit Falschinformationen nach Deutschland gelockt wurden: "Im moldawischen Fernsehen liefen Berichte, dass Moldawier jetzt frei in die EU kommen dürfen. Eine Vermittlungsfirma aus Litauen hat Anzeigen in Moldawien geschaltet, dass sie Leute zum Arbeiten suchen", erzählt die Beraterin. Und die Menschen kamen.

Sie mussten auf eigene Kosten nach Bremerhaven reisen, noch ohne Arbeitsvertrag. In der Stadt kamen sie dann in ein Haus, in dem bereits zugewanderte Arbeiter lebten. 12 Menschen bewohnten das Haus schließlich. Schon am Tag nach der Ankunft ging die Arbeit los, haben Betroffene Ognyana Ivanowa erzählt.
Der Betrieb des beschuldigten Bauunternehmers ist optisch ein Vorzeigeunternehmen: In Bremerhaven unterhält die im Umland gemeldete Firma einen Sitz aus repräsentativem Klinker und eine so ansehnliche wie gepflegte Fahrzeugflotte. Auf der mittlerweile abgeschalteten Homepage fanden sich Referenzen kleinbürgerlicher Baukunst und Impressionen der betrieblichen Weihnachtsfeier.
77 Euro Wochenlohn
Fast allen Männern, die auf den Fotos zu sehen sind, ist ihr Migrationshintergrund anzusehen. Offenbar setzte der Inhaber auf eine besondere Gruppe von Arbeitern – die vermutlich besonders niedrige Ansprüche hatten. Die Beratungsstelle Moba hat die Lohnabrechnungen untersucht. Es gab 77 Euro Wochenlohn, und das bei zehn oder mehr Arbeitsstunden am Tag: ""Da kann man sich selbst ausrechnen, wie viel Stundenlohn das ist", sagt Ognyana Ivanowa. Viele der Arbeiter hätten das aber nicht für Ausbeutung gehalten:
Sie dachten, das wären ganz normale Arbeitsbedingungen.
Ognyana Ivanowa, Beraterin für mobile Beschäftigte
Mit der Zoll-Razzia flog der illegale Status der Arbeiter auf, für die Moldawier und Ukrainer hieß das: Ausreise. Viele von ihnen hatten noch gar kein Geld bekommen, ihnen fehlten so die Mittel für die Rückkehr. Einige gingen zur Moba, andere kamen in die Bremerhavener AWO-Beratungsstelle. Dort arbeitet Daniel de Oliveira Soares, für den die Angelegenheit keine große Überraschung war. Illegal eingereiste Facharbeiter, denen hohe Lohnversprechen gemacht werden und die nicht einmal wissen, dass sie illegal einreisen: "Diese Geschichte ist sehr alt. Ich erinnere mich, dass es Mitte der Neunziger begann, seitdem gibt es keinen Stopp. Nur die Länder ändern sich."
"Die Misere der Ausländer wird genutzt"

Soares hat allerdings eine Idee, warum gerade Deutschland für Schleuser und Menschenhändler so interessant ist: "Die Gesetze sind nicht lasch, aber die Kontrollen sind zu wenig. Und Deutschland ist ein reiches Land, wo selbst die Löhne im Niedriglohnbereich für viele Ausländer noch hoch sind. Es wird die Misere dieser Leute im Ausland genutzt, um immer billigere Arbeitskräfte zu haben", sagt der AWO-Berater.
Wie viele der ausländischen Mitarbeiter des Bremerhavener Bauunternehmers Deutschland mittlerweile verlassen haben, ist nicht zu ermitteln. Auch wie es auf den rund 20 Baustellen, die der Mann zuletzt betrieben hat, weitergeht, ist noch unklar. Sicher scheint nur: Auch wenn das hochgenommene Unternehmen einer der größeren Fische war: Es war nicht der einzige. Davon, dass die Masche weitergehen wird, ist Moba-Beraterin Ognyana Ivanowa überzeugt:
Das ist für uns bisher der größte Fall von Menschenhandel. Ich vermute aber, es kommen noch viele solche Fälle.
Ognyana Ivanowa
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 8. Mai 2018, 19:30 Uhr